Brief an Verkehrsminister Scheuer


Erstellt am: 29 May 2020

Nach dem Studium des Schreibens der Verkehrs­polizei­inspektion Freiburg zum Thema Geräuschmessungen hatte ich mich im Februar 2020 entschlossen, die sich daraus ergebenden Fragen an das BMVI zu senden.



An den Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur
Herrn Andreas Scheuer (persönlich)
Invalidenstraße 44
10115 Berlin


Sehr geehrter Herr Minister Scheuer,

zum Thema Motorrad- und Sportwagenlärm („Lärmposer“) wird immer wieder der Ruf nach mehr Polizeikontrollen hörbar. Man geht davon aus, dass es Fahrzeughalter gibt, die Manipulationen an ihren Fahrzeugen vornehmen und man müsse diese nur „herausfischen“.

Mit meinem Schreiben möchte ich darauf aufmerksam machen, dass es

a) nicht notwendig ist, Fahrzeuge zu manipulieren, um teilweise gewaltige Lärmemissionen hervorzurufen. Die Lücken in den Verordnungen sind m.E. so groß, dass man ganz legal beliebig laut sein darf und dass deshalb Polizeikontrollen sinnlos und zudem frustrierend für die Beamten sind,

b) es dringend notwendig ist, die bestehenden Gesetze und Verordnungen zu ändern, damit überhaupt eine Kontrolle der zulassungsbedingten Lärmwerte möglich ist und

c) dass es möglich wäre, den §1 der StVO konsequenter durchzusetzen. Dieser würde dann auch die Fahrer von Bestandsfahrzeugen einschließen (die ja durch optimierte Zulassungsvorschriften nicht erfasst werden)

Zum Thema Lärmkontrollen habe ich aktuell das untenstehende E-Mail der Verkehrspolizeiinspektion Freiburg erhalten, das m.E. andeutet, dass bei der bestehenden Lärmschutz-Rechtslage die Durchführung von Polizeikontrollen an Fahrzeugen im Prinzip sinnlos erscheinen.

Ich habe dazu die folgenden Fragen, die sich auf das Mail unten beziehen und bitte ausdrücklich um Einzel-Beantwortung jeder der Fragen.

  1. Ist es richtig, dass die Polizei nur Standgeräuschmessungen, nicht aber Fahrgeräuschmessungen durchführen kann?
  2. Ist es zutreffen, dass bei Fahrzeugen, die unter die neue EU-Verordnung Nr. 540/2014 fallen, selbst der TÜV aufgrund der komplizierten Verordnung technisch nicht in der Lage ist eine Fahrgeräuschmessung durchzuführen?
  3. Trifft es zu, dass es Fahrzeuge gibt (wie im vorliegenden Fall), die bei einer Drehzahl von 3.750 U/min im Standgeräusch einen Dezibelwert von 100 dB (A) im Stand erreichen dürfen?
  4. Wird der Wert für das Standgeräusch im KFZ-Schein vom Verordnungsgeber oder vom Hersteller festgelegt? Der NDR behauptete unlängst, dass der Maximalwert für das Standgeräusch vom Hersteller festgelegt wird.
  5. Ist es richtig, dass – wenn die Drehzahl unter den vorgegeben Drehzahlwert von 3.750 U/min liegt oder übersteigt - der Pkw (beliebig) lauter sein darf?
  6. Wäre es bezgl. Punkt 5 also denkbar, eine Motorsteuerung so zu programmieren, dass Sie im Drehzahlbereich von 3.750/min den Grenzwert einhält, ansonsten aber einen viel höheren („kernigen“) Lärm produziert? Wird dies in der Praxis auch gemacht?
  7. Nach mündlicher Aussage des Polizeioberkommissars im Schreiben unten käme es immer wieder vor, dass man bei Kontrollen als sehr lautstark empfundene Fahrzeuge zur Kontrolle rauswinkt und man dann feststellen muss, dass der Motorenlärm bei ca. 3750 U/min plötzlich absinkt und genau (und nur) in diesem Messbereich der Standgeräusch-Grenzwert eingehalten wird. Frage: Ist die eine Beobachtung, die das Ministerium bestätigen kann bzw. für möglich hält?
  8. Ist die folgende Aussage der Polizeiinspektion Freiburg richtig? „Bei der Fahrgeräuschmessung verhält es sich ähnlich. Hier ist die Gangwahl (bei manueller Schaltung) bzw. die Fahrstufe (bei automatischer Schaltung), die Drehzahl und Beschleunigungswerte vorgegeben. Hält das Fahrzeug den im Fahrzeugschein vorgegebenen Grenzwert unter den vorgegebenen Prüfungsbedingungen ein, ist dies nicht zu beanstanden. Auch im Falle des Fahrgeräusches verhält es sich so, dass der Dezibelwert außerhalb der vorgegebenen Prüfungsbedingungen (beliebig) höher sein darf. Auch beim Fahrgeräusch ist Klappenauspuffanlage so geregelt, dass die Grenzwerte unter den vorgegebenen Prüfungsbedingungen eingehalten werden. Auch hier gilt wieder: außerhalb der vorgegebenen Prüfungsbedingungen darf das Fahrzeug beliebig laut sein.“
  9. Wenn ein Fahrzeug ganz ohne ungesetzliche Manipulation sowohl im Stand – außer bei ein Drehzahl von 3.750 – sowie während der Fahrt – außer bei einer bestimmten kompliziert festgelegten Prüfbedingung – beliebig (!) laut sein kann, und die Motorsteuerung moderner, auf „Lärm optimierter Fahrzeuge“, diese beiden punktuellen Zustände erkennt und runterregelt, welchen Sinn machen dann Polizeikontrollen? Führen diese nicht eher zu einer Frustration der Beamten und einer Verschwendung öffentlicher Gelder?
  10. Welche Maßnahmen plant das Ministerium, um die im Prinzip völlig nutzlosen (weil legal auf einfachster Weise per Elektronik umgehbaren) Lärmschutzregeln durch effektive Regelung zu ersetzen?
  11. Neben den zulassungsbedingten Lärmschutzvorschriften gibt es auch noch verhaltensbezogene Vorschriften, z.B. den Paragraphen 1 (2) der StVO („Wer am Verkehr teilnimmt hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.“). Sieht das Verkehrsministerium hier eine Möglichkeit, innerhalb der bestehenden Gesetzgebung eine Handlungsanweisung für Polizeikontrollen auszugeben?
  12. Mit Bezug auf Punkt 11: Bereits vor über 30 Jahren hat das BGH festgestellt: “Die Feststellung, ob die Geräuschentwicklung eines Kraftfahrzeuges das technisch unvermeidbare Maß überstiegen hat, unterliegt keinen festen Beweisregeln, die die freie Beweiswürdigung des Tatrichters im konkreten Fall einengen. Eine Feststellung des Maßes der Geräuschentwicklung durch ein Geräuschmeßgerät ist nicht erforderlich.” (BGH, Beschluss vom 30. Juni 1977 – 4 StR 689/76).

Frage: wäre dies eine Grundlage, dass die Polizei einen Fahrer, der z.B. beim Beschleunigen rücksichtslos die volle Motor- und damit Lärmleistung seines Fahrzeuges freilässt, mit einer Geldbuße belegt, ohne dass dazu eine explizite Lärmmessung durch die Polizei erfolgen muss?

(Dazu folgende Erläuterung: Ein Fahrzeug, das laut Zulassung im KFZ-Schein 200 km/h fahren darf, hat damit ja auch noch nicht automatisch das Recht erwirkt, dass es z.B. innerhalb geschlossener Ortschaften schneller als 50 km/h fahren darf. Genauso sollten gelten, dass ein Fahrzeug, dass laut Zulassung z.B. 100 dB laut sein darf, diese maximale Geräuschentwicklung durch das Verhalten des Fahrers nur dann entfalten darf, wenn man nicht z.B. durch ein bewohntes Gebiet oder ein Erholungsgebiet fährt? Wenn es in diesem Gebieten möglich ist, ohne Ausnutzung des vollen Lärmpotentials die Strecke zu befahren, dann müsste das verpflichtend sein und ein entsprechender Verstoß müsste nach den Vorgaben des BGH-Beschlusses (also ohne Lärmmessgerät) kontrolliert und ggfs. geahndet werden können.)

Vielen Dank für die Beantwortung dieser Fragen.

Ich gehe davon aus, dass ich die Antworten auf diese Fragen ggfs. dann auch in der Öffentlichkeit verwenden darf.

Mit freundlichen Grüßen

Kristian Raue

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